Steven Stokey-Daley – ein zeitgenössischer Rebell der britischen Mode

Foto: Trisha Ward

Text: Franka Klaproth

Steven Stokey-Daley ist einer der spannendsten Talente am britischen Modehorizont. Mit seinen Kreationen erzählt er eindrucksvoll seine eigene Geschichte, die von Klassenunterschieden und seiner queeren Identität geprägt ist. Der prominenteste Unterstützer, dessen Stylist die Marke entdeckte, ist Harry Styles, der nun auch als Investor bei S.S. Daley eingestiegen ist.

Seit jeher lässt sich britische Mode schwer in Schubladen stecken. Vielleicht ist es genau diese Unkonventionalität, die den britischen Stil vereint. Rebellion muss jedoch nicht notwendigerweise völlige Abwendung oder radikalen Bruch mit existierenden Normen und Stilelementen bedeuten; insbesondere die britische Mode schafft es, traditionelle Elemente immer wieder neu zu verarbeiten oder sie in neuem Lichte erscheinen zu lassen. Ausnahmetalente wie Vivienne Westwood oder Alexander McQueen etwa forderten die Grenzen der Mode immer wieder heraus und prägten die rebellische Ästhetik, die aus dem Vereinten Königreich entstammt. Beide kamen aus bescheidenen Verhältnissen, ihr Leben erst weit entfernt von der glamourös anmutenden Welt der High Fashion, bevor sie selbst an deren Spitze gelangten.

Auch der Designer des englischen Modelabels S.S. Daley, Steven Stokey-Daley, wuchs in einfachsten Verhältnissen in Liverpool im Norden Englands auf. Während seiner Studienzeit an der University of Westminster erlebte er einen starken Kontrast zwischen seiner eigenen Herkunft aus der Arbeiterklasse Liverpools und dem privilegierten Leben der Schüler der elitären Harrow School, welches er vom Campus aus stets verfolgen konnte. In seiner Mode verarbeitet Stokey-Daley nun klassische Stilelemente der britischen Oberschicht und lässt sie mit modernen Elementen zu etwas völlig Neuem verschmelzen. Seine Kollektionen erzählen Stokey-Daleys eigene Geschichte, die Klassenunterschiede, die sein Aufwachsen prägten, und auch seine queere Identität findet Ausdruck in seinen Designs. Schon vor seinem Universitätsabschluss arbeitete er zwischenzeitlich im Team der Modehäuser Alexander McQueen und Tom Ford, beides wertvolle Erfahrungen für den aufstrebenden Modestudenten.

Heute bewegt sich Stokey-Daley mit Mitte 20 in der Topklasse gegenwärtiger Modedesigner aus England. Bereits seine Abschlusskollektion markierte 2020 den ersten bahnbrechenden Meilenstein seiner Karriere und ebnete das entscheidende Fundament für sein Modelabel S.S. Daley: Niemand Geringeres als Harry Styles trug anschließend Kreationen des jungen Designers in seinem Musikvideo des Welthits „Golden“. Seine Kollektion war dem Stylisten Harry Lambert, einer renommierten Figur in der Modebranche und dem persönlichen Stylist von Harry Styles, ins Auge gefallen. Lambert war schon vorher dafür bekannt, immer auf der Suche nach aufstrebenden Modetalenten zu sein, die er durch seine Reichweite fördern kann. Stokey-Daleys Graduiertenkollektion wurde vor allem von Evelyn Waughs Literaturklassiker „Brideshead Revisited“ inspiriert, einem Roman, der nostalgisch und zugleich kritisch die britische Aristokratie des 20. Jahrhunderts sowie deren Niedergang betrachtet. Im Video von „Golden“ sieht man Styles im weiten, luftigen Hemd, entlehnt aus der klassischen britischen Herrenmode.

Die Kopfbedeckung, ein üppiges Blumenbouquet, taucht immer wieder in Stokey-Daleys Kreationen auf, ein Aushängeschild für Stokey-Daleys Hang zur Romantik. Ein anderer Shot zeigt Styles oberkörperfrei in floraler Anzugshose, geschneidert aus alten Vintage-Vorhängen. Styles’ modischer Auftritt ist für Brüche mit konventionellen Geschlechterrollen bekannt, dass er keine Scheu vor femininen Outfits hat, ließen ihn zur Stilikone werden. Das Label S.S. Daley, das schon seit jeher mit Geschlechtertraditionen in seinen Designs bricht, passt perfekt zu der Ästhetik des Popstars – oder eben umgekehrt.

Spätestens nach der Veröffentlichung des Musikvideos zu Styles’ Song „Golden“ hatte der junge Designer mit seinem Label S.S. Daley die Aufmerksamkeit der Modewelt. Von jetzt auf gleich stiegen die Bestellungen der von Styles getragenen Stücke laut Stokey-Daley „bis ins Unermessliche“. 2021 debütierte er auf der London Fashion Week, seine Kollektion beschrieb er als Queering oder Subversion ikonografischer, archetypischer Kleidungsstücke aus der englischen Internatsmode. 2022 gewann S.S. Daley den LVMH-Preis (LVMH Prize for Young Fashion Designers), eine der höchsten Auszeichnungen, die ein junger Designer überhaupt erzielen kann. Wer den prestigeträchtigen Wettbewerb gewinnt, erhält Zugang zu einem einjährigen Mentoring-Programm von LVMH sowie ein beträchtliches Preisgeld von 300.000 Euro. Anfang des Jahres 2024 wurde Stokey-Daley eine weitere finanzielle Unterstützung beschert: Harry Styles stieg als Investor bei der Marke ein. Unmittelbar vor der Bekanntgabe hatte Stokey-Daley seine neue Herbst-Winterkollektion auf der Pitti Uomo präsentiert.

Kürzlich lancierte Stokey-Daley im Rahmen der letzten London Fashion Week seine erste Womenswear-Linie, in der Harry Styles von Kopf bis Fuß in S.S. Daley eingekleidet neben Anna Wintour saß. Inspiriert wurde seine erste Damenkollektion von Gluck, einer kunstschaffenden, nicht binären Person des 20. Jahrhunderts, die ihr Leben lang offen queer lebte und ihren Vornamen Hannah bewusst ablehnte. Ihr persönlicher, markanter Stil war geprägt von maßgeschneiderter, utilitaristischer Kleidung, die für gewöhnlich der Herrenmode vorbehalten war. Berühmt war die Künstlerin für ihre Porträts, Blumen- und Landschaftsmalerei, sowohl Glucks als auch S.S. Daleys Oeuvre vereint Geschlechterfluidität und künstlerisches Hinterfragen gesellschaftlicher Normen. Für einen Designer, der noch weit am Anfang seiner Karriere steht, hat sich Stokey-Daley schon einen beachtlichen Namen gemacht. S.S. Daley hat alles, was eine aufstrebende Marke zum Erfolg braucht: die Vision, die Förderung und eine unerschütterliche Nonkonformität, die man schon von vielen berühmten britischen Modetalenten vor Steven Stokey-Daley kannte.

Photos © Kristen Cochrane / S.S. Daley