
Otto Drögsler und Jörg Ehrlich - Photo: Andreas Knaub
Interview: Ann-Kathrin Riedl
Sie sind eine wahre Größe der deutschen Modewelt: Jörg Ehrlich, Otto Drögsler und ihr Label ODEEH. Stars wie Eva Padberg, Nina Hoss, Anke Engelke und neuerdings auch VOGUE-Modeikone Anna Wintour zählen zu den Fans der Marke, die aber längst nicht nur auf dem roten Teppich funktioniert. Die perfekte Balance aus Extravaganz und Alltagstauglichkeit, gepaart mit klassischer Schneiderkunst, macht ODEEH auch für ein Businessmeeting oder ein schickes Abendessen unter Freunden zur besten Wahl. Ein ODEEH-Look, das steht außer Frage, ist eine Anschaffung, die sich lohnt und auf die man immer gern zurückgreift.
Hinter einem solchen Erfolgskonzept steht, wie so oft, jahrzehntelange Erfahrung. Otto Drögsler studierte an der renommierten Hochschule für Angewandte Kunst in den Meisterklassen von Karl Lagerfeld und Jil Sander; Jörg Ehrlich erlernte in Frankfurt die Maßschneiderei. Bei Escada in München lernten sich die beiden Designer kennen, führten danach als Kreativdirektoren die Marke René Lezard. 2008 gründeten sie schließlich ihr eigenes Label, für das sie von Anfang an mit familiengeführten Webereien und Manufakturen in Europa arbeiteten. In Unterfranken, wo das Duo auf einem Gutshof lebt, laufen die Fäden schließlich zusammen und reichen von dort in die ganze Welt. Nach Berlin, wo ODEEH regelmäßig die aufwendigsten Shows der Fashion Week inszeniert. Und in dem Hamburger APROPOS-Store, wo das Label auf einer ganzen Etage präsent ist.
Mit APROPOS verbindet euch die Wurzel in der deutschen Provinz. Schließlich hat der Concept Store seine Anfänge in Gummersbach und Siegburg genommen, ihr habt eure Basis in Giebelstadt bei Würzburg. Was ist besonders an Visionen, die abseits der großen Modezentren entstehen?
Da gibt es sicher unterschiedliche Geheimnisse. Aber dank der Tatsache, dass wir alle heute online visuell mit allem vernetzt sind, nivelliert sich doch entscheidend der Gap, den es früher vielleicht zwischen Stadt und Land, Urbanität und Provinz gab. Die Provinz hat sicher aufgeholt. Zumindest in unserem Fall. Für ODEEH würden wir als besonders sehen: Konzentration, Besinnung auf die uns eigenen Werte, der bewusste Rückzug und eine gute Balance zwischen der Ruhe auf dem Land und unseren häufigen städtischen Aufenthalten, wo auch immer. Genau diese Dualität prägt seit Jahren unser Leben und beeinflusst unsere spezielle Methodik der Kreation und damit die Kollektionen von ODEEH.
Es heißt, als Anna Wintour vor Kurzem ein maßgeschneidertes Kleid von euch trug, sei darin neben ihrem Namen auch „97232 Giebelstadt“ eingenäht gewesen. Stimmt das? Stimmt es auch, dass ihr danach von Bestellungen überschwemmt wurdet?
ODEEH hat durch Annas Auftritt sicher noch mal an Präsenz gewonnen. Viele neue Stylisten und Stylistinnen meldeten sich bei uns, gerade auf internationaler Ebene spüren wir ein verstärktes Interesse. Kundinnen kommen in unsere ODEEH Spaces in München und Berlin und fragen explizit nach dem Kleid, Händler rufen an, schreiben uns. „Überschwemmt“ würden wir nicht sagen, aber die neue, zusätzliche Aufmerksamkeit ist doch sehr spürbar. Und ja, im Kleid steht unser Ort samt Postleitzahl. Da sind wir zu Hause, da ist also auch ODEEH zu Hause. Warum sollten wir etwas anderes reinschreiben? Wir lieben es, hier zu sein. Und Anna mochte diesen Gruß aus der Provinz auf dem Etikett auch sehr, wie sie uns dann anschließend verraten hat.
ODEEH kommt bei Unternehmerinnen in mittelgroßen Städten genauso gut an wie bei Schauspielerinnen in Berlin. Was ist es, was die Marke für so unterschiedliche Welten spannend macht?
Eine gute, nachhaltige Spannung kommt – und das ist nicht nur in der Mode so – immer entscheidend mit dem Prinzip der Veränderung einher. Unser allererster Anspruch ist, neben der Zielsetzung etwas Zeitgemäßes zu schaffen: Wir wollen überraschen! Dieses Prinzip ist essenziell für unsere Herangehensweise. Und steht im Kontrast zu vielen anderen Kollektionen, deren primäre Idee häufig einer überdefinierten, oft zu eng definierten Stilistik zu folgen scheint. Uns erscheint ein solch schmaler Korridor der Möglichkeiten zu eng, für wahre Veränderungen bleibt da nicht viel Raum. Berechenbarkeit ist wichtig, man muss erkennbar sein. Aber moderne Erkennbarkeit sollte immer einhergehen mit Veränderung, Wandel, manchmal Widerspruch und auch mal dem radikalen Weglassen bewährter Aspekte. Davon lebt Mode, so bleibt sie vital. Und gerade wenn man, so wie wir, das Ganze schon ein paar Jahre macht, ist dieses Prinzip essenziell.
ODEEH ist für seine feste Community bekannt, die der Marke über Jahre hinweg treu ist – dafür ist sicherlich euer Fokus auf das direkte Kauferlebnis bzw. den Kontakt zu euren Kundinnen mit verantwortlich. Wie schafft ihr es, diesen in digitalen Zeiten aufrechtzuerhalten und ODEEH als „erfahrbare“ Marke zu führen?
ODEEH definiert sich über eine gewisse Lautstärke, wir sind nicht immer zurückhaltend oder dezent. ODEEH ist die Antithese zum oft, manchmal zu oft, gesehenen Beige. Was wir damit meinen: Frauen, immer öfter auch Männer, die ODEEH tragen, sollten sichtbar sein und eine Präsenz ausstrahlen, ohne visuell zu dominant zu sein. Gerade im Digitalen muss man etwas lauter und prägnanter sein, um gesehen zu werden im oft endlosen Einerlei von Camel, Greige und Graumelange. Bitte nicht falsch verstehen: Wir lieben Neutrals, sie bilden immer die Basis für alles, was wir an Prints und Mustern zeigen. Aber diese neutralen Farbsequenzen sollten nicht absolut und alles sein. Das empfänden wir als dröge bzw. als eine falsch interpretierte Form von Minimalismus.
Es heißt, ihr seid leidenschaftlich gern Gastgeber. Wenn ihr eine Gruppe ODEEH-Frauen zu euch nach Hause einladen würdet, was würde auf dem Menü stehen, wie sähe die Tischdekoration aus, welche Musik würde im Hintergrund gespielt werden und um welche Themen würde sich das Tischgespräch drehen?
Dann kocht Otto! Tafelspitz mit Meerrettich, davor gibt’s eine österreichische Suppe und anschließend sicher einen Kaiserschmarrn. Oder eine Pavlova. Im Hintergrund läuft Jazz von Nils Landgren, manchmal was Ruhiges von Nina Simone, Klaviermusik von Nils Frahm oder Max Richter. Zum Dessert wird’s dann lebendiger. Und reden würden wir hoffentlich nicht ausschließlich über Mode. Abende, bei denen es nur um das eine geht: Es gibt nichts Schlimmeres! Wir lieben kontroverse Gespräche, andere Meinungen. Sie sind immer auch persönliche Herausforderungen, die eigenen Toleranzschwellen zu überprüfen. Toll ist es, wenn solche Abende etwas unerwartet, manches Mal auch tanzend zu Ende gehen. Und wenn man am nächsten Tag das Gefühl hat: Ich hab wieder etwas dazugelernt. Die Tischdeko, die macht Jörg: Immer wieder neu komponiert, hoffentlich inspirierend und facettenreich. Mit dem Schwanenservice von Meissen oder Zwiebelmuster im Mix aus grober, handgetöpferter Keramik. Handbemalte Teller von Otto, alte Kristallgläser aus den 30er-Jahren. Kerzen, viele Kerzen! Gemusterte Tischläufer mit gemusterten Servietten. Von Hand gezeichnete Tischkarten. More is more. Wir lieben es!
Im Jubiläumsinterview zu 40 Jahren APROPOS, das in der letzten Ausgabe dieses Magazins erschien, sagten mir die Gründer: „Wir verkaufen nicht nur Luxusprodukte, sondern Luxusmomente.“ Inwiefern seht ihr darin eine Parallele zu eurer eigenen Philosophie?
Wir stimmen zu 100 Prozent zu. Wir alle brauchen doch keinen neuen Mantel, aber es ist völlig o. k, einen neuen Mantel haben zu wollen. Dieses „Ich gönne mir was“-Gefühl braucht den richtigen Moment, die richtige Bühne, die perfekten Hosts. All das findet man bei APROPOS. Und ohne solch exzellenten Stores wäre unsere Welt um einiges ärmer.
Was macht die ODEEH-Frau auch zu einer APROPOS-Frau und umgedreht?
Eine entscheidende Schnittmenge ist sicher: Die APROPOS- und ODEEH-Frau liebt es, sich mit schön gemachten Dingen zu umgeben, sie leistet sich gerne etwas Wunderbares, will sichtbar sein mit dem, was sie trägt. Und: Sie wertschätzt es nachhaltig. Wir denken, gerade hier verbinden sich unsere gemeinsamen Werte.
Gibt es eine Anekdote aus eurer Zusammenarbeit mit dem Concept Store und seinen Gründern, die ihr gern teilen würdet?
Wir kennen Klaus und Daniel schon sehr lange. Sehr viel länger, als es ODEEH gibt. Und wir haben sie immer als extrem loyale und im Sinne ihrer Kunden kreative Einkäufer, sagen wir Interpretatoren von Mode, geschätzt. Mit Henning ist das Duo zum Trio gewachsen, noch kompetenter geworden, und die drei haben neben all der Professionalität auch einen wunderbaren Humor. Da gab es schon längere Abende, die sehr unterhaltsam waren.
Ihr „bespielt“ das erste Obergeschoss des APROPOS-Stores in Hamburg. Welche Stücke habt ihr dafür ausgewählt und welche Besonderheiten erwarten die ODEEH-Fans dort?
Ein gutes Portfolio von ODEEH: von navy- oder anthrazitfarbener, superfeiner italienischer Wolle hin zu den prägnanten, typischen ODEEH-Prints. Sehr, sehr schöne Accessoires. Und immer wieder auch kleine limitierte Editionen, die es nur auf solchen ODEEH-Flächen zu kaufen gibt. ODEEH ist ständig im Wandel, und so wird es hoffentlich auch in Hamburg bei APROPOS sein.
In der Mode spricht man manchmal vom hanseatischen Understatement. Wie würdet ihr den Stil der Stadt in seinen Besonderheiten beschreiben? Auch im Vergleich zu anderen Großstädten wie München oder Berlin?
Ehrlich gesagt: Wir glauben nicht so sehr an diese Art von Klischees. Der Erfolg von ODEEH von Hamburg bis München zeigt uns, dass es überall Frauen gibt, die eine spezifische Haltung eint. Da ist sich München mit Hamburg nicht uneinig. Wir beobachten heute im Generellen, wie informiert, wie up to date moderne Zeitgenossen unterwegs sind. Vollkommen egal, ob es sich um Entwicklungen in der Kunst und Kultur, um Mode, Design oder was auch immer handelt. Da gibt es keine Unterschiede zwischen Nord und Süd, Stadt oder Land.
Otto, du hast bei Karl Lagerfeld und Jil Sander gelernt, beide Hanseaten. Konntest du eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen erkennen bzw. wie haben sie dich als Designer geprägt?
Beides Hanseaten, beide in ihrer stilistischen Handschrift weit voneinander entfernt. Meine Zeit und Erfahrung mit Lagerfeld war länger, ich konnte nach dem Studium in seiner Wiener Meisterklasse für ihn bei CHLOÉ arbeiten. Und dabei unfassbar viel lernen. Lagerfeld war ein Mentor, der extrem liberal geprägt alles zugelassen hat, was man als junger Absolvent ausprobieren wollte. Dieses Prinzip des „All should be possible!“ schätze ich im Nachhinein umso mehr, weil es auch zu unserem Credo bei ODEEH wurde: Mode bedeutet Individualität, Freiheit, muss Toleranz vermitteln und provozieren. Jil Sander war sicher radikaler, eindeutiger, hat für ihren unverwechselbaren Stil gekämpft. Was beide vereint? Ganz klar das Brennen, die Leidenschaft für ihr jeweiliges Tun, die Kompromisslosigkeit und Disziplin in allem, was sie anpackten und immer noch anpacken, wenn man unter anderem Jil Sanders neuestes Buchprojekt anschaut.
Ihr beide habt vor der Gründung eures eigenen Labels für große deutsche Modehäuser wie Escada, Rena Lange, Toni Gard, René Lezard gearbeitet, als diese noch internationale Strahlkraft hatten. Wie hat sich die deutsche Modewelt seitdem verändert? Und worin seht ihr eine Vision für die Zukunft?
Die deutsche Modelandschaft hat sich komplett verändert. Viele Namen gibt es nicht mehr, viele neue sind dazugekommen. Berlin entwickelt sich in kleinen Schritten zu einer immer interessanteren Plattform für deutsche Mode. Gerade für jüngere deutsche Labels ist die Stadt immens wichtig. Trauern wir den alten Zeiten hinterher? Absolut nicht. Veränderung ist gut und notwendig. Und wäre alles so wie vor 25 Jahren, dann gäbe es heute keinen Platz für ODEEH. Nostalgie oder diese „Früher war’s besser“-Haltung ist uns vollkommen fremd und nicht in die Zukunft führend. Es müssen Phasen zu Ende gehen, damit neue Geschichten erzählt werden können. Nostalgie ist also völlig fehl am Platz, gerade in unserer Branche.
Ein Rat an potenzielle Kundinnen: Warum sollten sie in der unendlichen Vielzahl von Labels dem deutschen Design wieder mehr Aufmerksamkeit schenken?
Ganz einfach: Weil es unfassbar gutes Design aus Deutschland gibt. Wir nennen jetzt keine Namen, aber vieles findet man auch bei APROPOS. Es gibt wirklich einiges, nicht nur aus Berlin. Neugierig sein, auf die Suche gehen – das hilft dabei.
Euer Label verändert ihr ständig und bleibt dadurch aktuell.Nennt mir bitte trotzdem drei ODEEH-Markenzeichen, die über all die Jahre seit Gründung erhalten geblieben sind.
Silhouette! Kontrast! Farbe! Und hoffentlich Mut, wenn’s auch vier Attribute sein dürfen.
Das shoppe ich bei ODEEH für …
… einen Tageslook: eines unserer typischen Printkleider. Alle Prints sind exklusiv von uns entworfen, die Stoffe werden in Italien bedruckt. Dazu ein lässiger Doubleface-Mantel.
… einen Bürolook: unsere extrem leichte Super-150-Wool, exklusiv entwickelt mit einem der besten italienischen Weber für Herrenstoffe in Biella. Eine feinere Wolle gibt es nicht.
… ein Abendevent: zum Beispiel ein Duchesse-Hemd mit Blumenstickerei in einem dunkelblau-schwarzen Doppelgewebe.
Vervollständigt bitte diese Sätze:
Wer ODEEH tragen will, braucht Lust, Neugierde und manchmal Mut und wird von seinem Umfeld häufig sicher tolle Reaktionen bekommen.
Wenn ich in Mode investieren will, tue ich es lieber bei ODEEH als bei anderen Designermarken, weil es mir total entspricht. Keine Frage: Alle Marken, die heute erfolgreich sind und gerade die, die bei APROPOS vertreten sind, machen etwas richtig, sonst wären sie da nicht. Aber vielleicht sind wir manchmal doch etwas individueller, spezieller, mutiger. Zumindest ist das unser Anspruch und treibt uns in unserem Tun an.
In einem ODEEH-Look werde ich mich nie underdressed fühlen, aber dafür immer passend und selbstsicher.
Photos © ODEEH