Interview: Astier de Villatte

1996 von den beiden Freunden Ivan Pericoli und Benoît Astier de Villatte gegründet, ist Astier de Villatte einer der Geheimtipps der Interior-Welt. Mit französischer Nostalgie und traditionellen Herstellungstechniken haben die beiden Designer einen unverwechselbaren Stil entwickelt, der die Vergangenheit und das Nicht-Perfekte gleichermaßen zelebriert. Im Interview haben uns die beiden Gründer mit auf eine Reise durch ein verborgenes Paris genommen: von der letzten Druckpresse bis hin zu dem besten Dessert der Stadt.

1) Messieurs, Sie haben sich während Ihres Studiums an der renommierten École des Beaux Arts in Paris kennengelernt. Wie hat alles angefangen?

Benoît hatte gerade sein Studium abgeschlossen und Ivan war gerade dabei, an der Beaux Arts anzufangen. Gemeinsame Freunde von uns haben darauf bestanden, dass wir uns beide kennenlernen, weil sie der Meinung waren, dass Benoît ebenfalls Italiener ist, genauso wie Ivan. Dabei ist er lediglich in Rom geboren. Aber so haben wir uns kennengelernt.

2) In einer Welt, in der die meisten Produkte nicht nur massenproduziert werden, sondern auch zumeist von Maschinen gefertigt werden, steht Astier de Villatte für handgefertigte Objekte, bei denen kleinere Unvollkommenheiten beabsichtigt sind und geschätzt werden. Was hat Sie dazu inspiriert, diese Position einzunehmen?

Die Stanztechnik, mit der wir unsere Objekte fertigen, verursacht auf natürliche Weise kleinere Unvollkommenheiten. Doch sind dies für uns keine Fehler – wir glauben daran, dass Dinge, die zu perfekt sind, auch gleichzeitig zu zart sind. Wir bevorzugen es daher, kleinere Makel nicht zu ebenen, um die Energie und Dynamik zu behalten. Dadurch, dass wir es perfekt machen wollen, akzeptieren wir das Unschöne.

3) Die Astier De Villatte-Ästhetik in 3 Worten?

Nostalgisch, modern und energetisch

4) Wie lange dauert es, ein Objekt zu fertigen? Wie sieht der Herstellungsprozess aus?

Es hängt von dem jeweiligen Objekt ab, aber generell dauert der Prozess recht lange, da alles per Hand von der gleichen Person gefertigt wird, die das Produkt auch mit ihren Initialen versieht. Diese Person ist für die gesamte Herstellung verantwortlich, von der Zeichnung auf dem Blatt Papier bis hin zu dem finalen Ergebnis. Die Stanztechnik setzt voraus, dass man mit großer Vorsicht arbeitet und diese Handarbeit nimmt viel Zeit in Anspruch.

5) Astier de Villatte arbeite mit sehr vielen externen Partnern. Nach welchen Merkmalen wählen Sie diese aus?

Wir wählen eine Zusammenarbeit niemals aktiv aus – es ist vielmehr das Ergebnis einer Begegnung. Wir sind sehr beschäftigt mit unseren Aufgaben und unsere Kooperationen erlauben es uns, unsere Verbindungen zu Menschen zu stärken, die wir lieben. Wir arbeiten mit Freunden zusammen wie etwa Setsuko Klossowska, Lou Doillon oder Serena Carone. Wir hätten niemals alle so viel Zeit gemeinsam verbringen können, wenn wir nicht gemeinsam an diesen Projekten gearbeitet hätten. In diesem Sinn sind unsere Kooperationen eine Möglichkeit, mehr Zeit mit unseren Freunden zu verbringen.

6) Sie sind nicht nur ein Keramik-Atelier, sondern auch ein Verlagshaus, welches seine eigenen Bücher und andere Papierwaren produziert. Alle werden von der letzten Druckpresse in Paris hergestellt. Warum haben Sie sich für diese Technik entschieden? Was unterscheidet das finale Produkt von konventionell hergestellten Artikeln?

Alles fing damit an, dass wir ein Pressegeschenk machen wollten und die Idee hatten, hierzu einen Kalender herzustellen. Ein Freund hat uns über diese Buchdruckerei erzählt und uns mit dem Drucker, Herrn Huin, bekannt gemacht. So haben wir angefangen, unsere ersten Kalender und Papierwaren herzustellen.

Da es sich hierbei um die letzte Druckmaschine in Paris handelt, die noch mit Bleibuchstaben druckt und wir diese Tradition gerne lebendig halten wollen, haben wir damit angefangen, dort unsere eigenen Bücher drucken zu lassen.

Mittlerweile sind wir alle zu wahren Fanatikern dieser Herstellungstechnik geworden: Wir lieben die Bleiprägung auf Papier, die Schwärze und den Geruch der Tinte, die Eleganz der Kompositionen und der Schriften, die leicht tanzenden Buchstaben auf einer Seite… Am Ende hat das Ergebnis rein gar nichts damit zu tun, was man mit modernen Druckmethoden herstellen könnte. Es ist etwa so, als würde man den Kuchen eines Patissier-Meisters mit industriell hergestelltem Gebäck vergleichen.

7) Verschiedene Reiseziele zählen zu den Hauptinspirationsquellen für die Kerzen- und Parfumkollektion. Sind Sie der Meinung, dass ein Duft seinen Besitzer auf eine Reise entführen soll?

Eine Kerze oder ein Raumduft lassen einen in Tagträumen schwelgen. Tagträumerei und Reisen sind sehr eng miteinander verbunden. Manchmal sind unsere Inspirationen spezifische Orte, die wir kennen, manchmal jedoch auch unbekannte Ziele, von denen wir träumen, um uns aus dem Alltag zu flüchten. Ein solcher Ort ist für uns etwa Honolulu, wo wir beide noch nicht waren. Und uns gefällt die Idee des stillen Reisens, der Flucht vom eigenen Wohnzimmer aus – etwas, was wir dieses Jahr mehr denn je brauchen.

8) Mode sagt viel über seinen Träger aus. Glauben Sie, dass eine ähnliche Ansicht für unsere Wohnräume gilt, in denen wir leben?

Es ist sogar komplementär, Mode ist das Bild, welches wir von uns selbst projizieren: Wenn wir das Haus verlassen, dann ziehen wir uns für die Außenwelt an. Die eigene Wohnung ist mehr ein Bild des inneren Lebens, da es einen intimeren und geheimnisvolleren Charakter hat. Kleidung wendet sich eher an andere und kann der äußerlichen Verführung dienen. Ein Interior kann natürlich auch eingerichtet werden, um präsentiert zu werden, aber bei der Einrichtung gibt es mehrere Dinge, durch die das intime Innere eine Person scheint. Es kann sehr aufregend sein, die Wohnung von jemandem zu besuchen: Manchmal entdeckt man unerwartete, sehr kreative Einrichtungen bei den unterschiedlichsten Persönlichkeiten. Es ist in etwa vergleichbar mit den kleinen Gärten der Vorstadt, wo man manchmal außergewöhnliche Goldstücke entdeckt. Das wichtigste ist, dass jeder sich frei fühlt, sein inneres Universum ohne Tabus auszudrücken und Mode und Einrichtung können eine Reflexion dessen sein.

9) Last but not least: Was sind Ihre geheimen Hotspots in Paris, welche die meisten wahrscheinlich noch nicht kennen?

Unsere besten Adressen sind in unserem Guide Ma Vie à Paris, inklusive der allergeheimsten! Der Akupunkteur ist wahrscheinlich die erste Adresse in dem Guide, die wirklich ein Geheimtipp ist. Wenn man klingelt, sagt eine Stimme durch die Gegensprechanlage „Li Institute“ – es ist alles sehr mysteriös!

Paris birgt viele unbekannte Orte, die immer wieder neue und unglaubliche Dinge vollbringen: Tholoniat, die bemerkenswerte Konditorei, die ein einzigartiges kaltes Dessert, das Tholoniat, anbietet oder das Maison du Pastel, die per Hand hunderte Nuancen an Pastelkreide herstellen, die in einem kleinen Shop im Innenhof für 4 Stunden pro Woche verkauft wird. Paris ist immer noch voll mit bemerkenswerten Orten, welche – man fragt sich wie – dem Druck unserer Zeit widerstehen.