
Marionettes, 2024
Foto: t-space studio / Courtesy Peres Projects
Interview: CAROLIN DESIREE BECKER
Die Britische Künstlerin CECE PHILIPS ringt den modernen "Female Gaze" in die internationale Kunstszene. Dabei zeigt Sie vor allem Frauen in zeitlosen Räumlichkeiten und Umgebungen, in denen Geschlechterrollen und Zusammenhänge des Innen und Außen erforscht werden. So treffen Motive der Einsamkeit und Intimität auf Verlangen und Macht und erzeugen dabei eine narrative und psychologische Tiefem die den Betrachter zum Diskurs auffordert.
Cece, wie kamst du zur Kunst und wie würdest du diese für dich definieren?
Ich male bereits, seit ich ein Kind bin. Ich kann mich nicht genau daran erinnern, wann ich anfing zu zeichnen, aber ich hatte das Glück, einen Vater zu haben, der mir das Zeichnen und Malen beibrachte und mich in Kunstmuseen in London mitnahm – ich glaube, meine stärkste Erinnerung daran ist der Besuch einer Kostümausstellung im V&A, wo ich ewig saß und versuchte, eine Schaufensterpuppe in einem perlweißen Kleid zu zeichnen. Seit diesen Jahren ist die Kunst für mich zu einer Möglichkeit geworden, die Welt um mich herum und meinen Platz darin zu erforschen. Das Malen ist für mich irgendwie lustig, weil es mir eine gewisse Form von Frieden bringt, aber auch wieder nicht. Ich kann wirklich abschalten, wenn ich im Atelier arbeite, aber gleichzeitig kann es auch sehr frustrierend sein, wenn ich versuche, an einem Bild weiterzuarbeiten.
Du bist in diesem Sinne eine autodidaktische Künstlerin. Wie hat es dich beeinflusst, dass du ohne jegliche Regeln oder Konformität malen konntest?
Während ich Geschichte studiert habe, habe ich kürzlich auch einen MA in Malerei am Royal College of Art abgeschlossen. Ich denke, die Tatsache, dass ich zunächst Autodidaktin war, hatte einen starken Einfluss auf meine Arbeit, denn mit meinem Hintergrund in Geschichte und dann auch später durch meine Arbeit in der Werbung hatte ich einen starken Hang zur Erzählung und zur Art und Weise, wie Kompositionen aufgebaut sind. Künstler wie Edward Hopper, Félix Vallotton oder Walter Sickert haben mich durch ihre geschichtsträchtigen Gemälde sehr angesprochen, und auch das Lesen hatte immer einen Einfluss auf meine Arbeit. Der MA-Studiengang in Malerei vermittelte mir ein größeres Verständnis für Materialität, für das Experimentieren mit Maßstab und Farbauftrag. Auch die Tatsache, dass ich von so vielen unterschiedlichen Praktiken umgeben war, hat mir wahrscheinlich eher geholfen, mit den Regeln zu brechen, die ich mir irgendwo zuvor selbst gesetzt hatte.
Also hast du dich in der Kunst immer frei gefühlt?
Kunst war für mich an sich immer schon etwas Befreiendes, eine Möglichkeit, meine eigenen Ideen und Vorstellungen zu erforschen und zu hinterfragen. Ich denke, dass jedes Werk oft eine Art Antwort oder Fortsetzung des letzten Werks ist – und jedes Mal, wenn ich etwas mache, wirft es neue Fragen auf. Es gibt so viele äußere Einflüsse, aber ich neige schlussendlich dazu, in meiner Malerei auf mein Bauchgefühl zu vertrauen.
The Audition, 2024, Ausstellungsansicht
Kannst du den Moment beschreiben, in dem du zum ersten Mal generell etwas als Kunst für dich erkannt hast? Was war es?
Ich glaube, Zeichnen und Malen waren für mich als Kind ziemlich intuitiv, und es dauerte eine Weile, bis ich anfing, mich wirklich mit anderen Künstlern zu beschäftigen. Wahrscheinlich habe ich Musik noch vor der Malerei als Kunst erkannt – ich erinnere mich, dass mir eine sehr nette ältere Nachbarin ein paar CDs mit berühmten Cellostücken schenkte, nachdem ich im Alter von acht oder neun Jahren angefangen hatte, das Instrument zu lernen. Ich verliebte mich total in das Cellokonzert von Elgar, interpretiert von Jacqueline du Pré. Bis heute hat Musik eine sehr gefühlsbetonte und starke Wirkung auf mich.
In deinen Gemälden lässt du dich zum Teil von Filmstils und alten Erinnerungen inspirieren und verwebst so Eindrücke aus der Vergangenheit zu einer fiktiven Form der Gegenwart, die universell ist und überall, zu jeder Zeit stattfinden könnte. Wie hat sich dieser Bezug entwickelt?
Ich mochte es, ein Bild als Ausgangspunkt zu haben, und bezog mich immer gern auf alte Fotografien – ich wählte flüchtige Momente aus Archivbildern aus und stellte sie durch Farbe und Malerei neu dar. Im Laufe der Zeit entwickelte sich mein Prozess weiter, und ich war weniger auf die Interpretation realer Menschen und Orte fixiert, und das Zeichnen wurde zur Grundlage für den Aufbau einer Bildkomposition. Dies ermöglichte mir eine größere Freiheit in meinen Werken und die Erweiterung meiner eigenen Vorstellungskraft. Was Filmstils betrifft, so schaue ich mir diese oft an, da man von der Kinematografie so viel über Kompositionen lernen kann – Beleuchtung, Bildausschnitt, die Art und Weise, wie Figuren gesehen werden und wie ein einzigartiger Moment eingefangen werden kann.
Man sieht in deinen Werken oft Frauen allein oder versammelt, es gibt immer ein Gefühl von Einsamkeit, Begehren und Verletzlichkeit, fast schon Motive der Romantik könnte man sagen. Wie würdest du die Gefühlswelt deiner Protagonistinnen beschreiben?
Ich glaube nicht, dass wir diese unbedingt verstehen müssen. Ich liebe die Emotionen, die Farben hervorrufen können, und versuche, diese in meiner Arbeit zu nutzen, um ein Gefühl für eine mögliche Erzählung zu schaffen. Der Betrachter befindet sich dabei in meinen Gemälden sehr stark im Außen, und das Innere – sowohl der Schauplätze als auch der darin lebenden Personen – wird gesehen, aber dennoch in gewisser Weise verborgen. Es bleibt dem Betrachter überlassen, das Gesehene für sich einzuordnen.
Die Beobachtung findet primär durch eine weibliche Erzählung und feministische Gesten statt – warum ist es für dich von besonderer Relevanz, eine weibliche Perspektive einzunehmen?
Ein großer Teil der Kunst, die ich als Kind konsumiert habe, und viele der Künstler, von denen ich mich inspirieren lasse, waren männliche Maler, die Frauen mit ihren Augen darstellen. Ich schaue mir oft Hopper, Manet, Sickert an – diese Maler haben unglaubliche Werke, die Frauen darstellen, aber durch einen sehr stärk männlich geprägten Blick. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, weibliche Protagonistinnen zu malen, die oft als Avatare für mich selbst fungieren, weil ich auf diese Weise meine eigenen Erfahrungen erforschen kann. Dazu gehört auch der Gedanke, wahrgenommen zu werden. Ich denke, dass die Existenz und das Schaffen einer weiblichen Künstlerin schlussendlich aber schon eine feministische Geste an sich ist.
An Audience of One, 2024 (left) | Conversations Between Two, 2024 (right)
Was bedeutet es für dich, Frau zu sein?
Ich bin noch dabei, es herauszufinden, aber es ist wundervoll und schmerzhaft zugleich.
Man erkennt auch einen großen voyeuristischen Aspekt in deinen Werken, das Phänomen des Sehen und Gesehenwerdens. Was zieht uns in den Voyeurismus? Und wie können wir ihm entkommen?
John Berger sagte: „Men act and women appear“ (deutsch: „Männer handeln, Frauen treten auf“). Ich denke, dass das Gefühl der Sichtbarkeit, des Erscheinens oder Aufführens auf Frauen zutrifft. Das ist ein roter Faden, der sich durch so viele Referenzen und Einflüsse meiner Arbeit zieht. Die Rahmung der Figuren in einer voyeuristischen Umgebung hält dem Betrachter fast einen Spiegel vor, kehrt ihn um oder macht ihm bewusst, dass er hinsieht –aber auch er wird gesehen. Gleichzeitig hat man als Frau die Macht, hinzusehen – zurückzuschauen.
Man könnte in diesem Sinne fast sagen, dass deine Protagonisten typische Flaneure oder Flaneurinnen sind, Menschen, die umherziehen und sich in ihrer Umgebung verlieren, die ohne Ziel durch die Gegend laufen und sowohl Akteure, als auch Zuschauer des Geschehens sind. Würdest du dich auch selbst als Flaneurinbezeichnen?
Ja, ich denke schon. Ich bin letztes Jahr in einem Buch von Lauren Elkin auf diesen Begriff gestoßen. Die Idee einer Wanderin, die andere in einer urbanen Landschaft beobachtet. Die Einbeziehung von Fenstern und Türen in meine Arbeit wurde für mich zu einem Mittel, um nicht nur mein eigenes Gefühl, ein Zuschauer zu sein, zu hinterfragen, sondern auch, um den Betrachter als Außenstehenden, als Eindringling in Bezug auf die Arbeit und die Figuren zu positionieren – wodurch eine Spannung zwischen dem Beobachtenden und dem Beobachteten entsteht. Die Orte, die ich male, sind nicht unbedingt wiedererkennbar und vermitteln das Gefühl einer Stadt, die überall sein könnte, aber definitiv von meinen eigenen Wanderungen beeinflusst ist.
Inwiefern konzipieren die Türen und Fenster die Beziehung zwischen deinen Protagonisten und der Umgebung?
Die Fenster, Türen, Vorhänge – all diese vertrauten Elemente schaffen eine Umgebung, in der meine Protagonisten frei existieren und ihr Innenleben erforschen kö Es ist wie ein Bühnenbild – alles kann in diesem Raum passieren, aber nicht alles ist zu sehen. Wie bei einem Schriftsteller oder Regisseur gibt es Farb- und Formentscheidungen, die als Leitfaden für die Stimmung und die Erzählung dienen können, aber ich habe nicht immer die Kontrolle darüber und kann sie während des Malprozesses ändern.
Spiegeln deine Werke Momente wider, die du selbst erlebt hast?
Ich denke, alle meine Arbeiten sind in gewisser Weise eine Art Selbstporträt, und darin findet sich definitiv ein Gefühl der Verletzlichkeit wieder. In den letzten Jahren habe ich viele davon angefertigt, und es fühlt sich fast unnatürlich an, wenn sie das Atelier verlassen. Es liegt eine Menge Intimität und Selbstbeobachtung in jedem von ihnen. Es kann sehr unangenehm sein, eine Darstellung von sich selbst zu schaffen und vor sich auf einer weißen Wand zu sehen.
Aber es unterstützt auch das Gefühl, das ich mit meiner Arbeit im Allgemeinen erzeugen möchte.
In deiner Ausstellung „Conversations between two“, die noch bis zum 15. November bei Peres Projects in Mailand zu sehen war, hast du deine Arbeiten zusammen mit einem von der Schriftstellerin Lucy Mcllgorm verfassten Theaterstück als Begleitstück präsentiert. Welche zusätzliche Ebene konnte daraus erwachsen?
Ich habe schon immer die Art und Weise geliebt, wie Texte, insbesondere kreative Texte, neue Sichtweisen auf ein Werk eröffnen können – von Virginia Woolf über Walter Sickert, von Lynette Yiadom-Boakyes Kurzgeschichten über Zadie Smiths Texte bis zu Toyin Ojih Odutola. Vor ein paar Jahren habe ich eine Ausstellung mit dem Titel „The Drowned Man“ besucht. Es handelte sich um eine immersive Performance, die sich über ein riesiges Lagerhaus erstreckte. Jeder Schauspieler hatte seine eigene Geschichte, und man bekam unterschiedliche Handlungsstränge zu sehen. Beim Eintreten erhielt jeder eine Karte, auf der die Geschichte nur bruchstückhaft zu lesen war – genug, um zu raten und seine eigene Fantasie auf die Erzählung der einzelnen Figuren zu projizieren. Der Text überließ die Interpretation dem Publikum, aber er diente auch als Leitfaden für die weiteren Themen der Show. Das war etwas, was ich für diese Ausstellung mit Lucy erforschen wollte – sie ist eine unglaubliche Dramatikerin und konnte durch ihr kurzes Stück eine neue Perspektive der Werke vermitteln.
Im Dezember 2024 zeigst du deine Werke auf der Art Basel Miami – was bekommen die Besucher von dir zu sehe?
Auf der Art Basel Miami zeige ich mit Peres Projects ein kleines Ölgemälde mit dem Titel „Dreaming in an Empty Space“.